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Schulstart ohne Klischees. Geht das?

Pink oder Blau? Natürlich unterscheiden sich die Geschmäcker von Jungs und Mädels. Bei den Schulranzen für Mädchen werden meistens Motive mit Prinzessinnen, Pferde, Blumen oder Herzchen bevorzugt. Die Schulranzen für Jungen hingegen haben eher Motive wie Autos, Feuerwehr, Fußball, Superhelden oder Raumschiffe.“ – so der Originaltext auf der Website eines großen Schulranzenanbieters in Karlsruhe. Ist das so? Unterscheidet sich der Geschmack von Jungen und Mädchen ganz natürlich oder wie viel Einfluss darauf haben hier die Firmen, Marketingabteilungen, Darstellungen in Medien und wir Eltern? Und wieso wundern wir uns angesichts dieser anscheinend natürlichen Geschmacksunterscheidung dann, wenn die Berufswahl von Jugendlichen auch heute noch so stereotyp ausfällt? Der Zusammenhang zwischen all den mehr oder weniger subtilen Botschaften an junge Menschen in unserer Gesellschaft, was angeblich von Natur aus richtig für Jungs und Mädels sei, scheint mir hier wesentlich größer, als der Einfluss der biologischen Veranlagungen: So sehen wir unter den Top Ten 2019 der beliebtesten Ausbildungsberufe bei Jungs etwa Kraftfahrzeugmechatroniker, Elektroniker und Industriemechaniker. Unter den Top Ten bei den Mädchen Kauffrau, Friseurin, Hotelfachfrau (Quelle: Statistisches Bundesamt).

Tatsächlich ist sich die Wissenschaft heute einig: Die genetischen Unterschiede bestimmen zwar unser körperliches Erscheinungsbild, aber nicht eine männliche oder weibliche Art zu denken. Auch unser Gehirn wird erst geformt, wenn wir auf der Welt sind – und Kinder werden je nach Geschlecht mal mehr, mal weniger bewusst auf unterschiedliche „Trainingsplätze“ geschickt. Mädchen sind nicht etwa automatisch von Geburt an schlechter in Mathe, aber sie sind leider sehr früh dieser Meinung und solche Klischees werden irgendwann zu selbsterfüllenden Prophezeiungen, wie unter anderem dieser Artikel gut beschreibt.

Rund um den Schulstart unserer Kinder kann es überraschend sein, sich einmal bewusst zu machen, welche Erwartungen man selbst in Anlehnung an vermeintlich typische Verhaltensweisen je nach Geschlecht im Sinn hat: Wer ist in unserer Vorstellung fleißig, brav und malt gewissenhaft die ersten Arbeitsblätter schön aus? Wer rauft sich vielleicht auf dem Pausenhof, spielt den Pausenclown oder muss ermahnt werden, die Hausaufgaben zu machen? Und wieviel Einfluss haben die Erwartungen von Eltern und pädagogischem Personal auf Kinder? Zum Thema selbsterfüllende Prophezeiung gibt es das spannende Experiment von Prof. Robert Rosenthal. Lehrende bekamen fiktive Ergebnisse eines Tests zu ihren neuen Schüler*innen vorgelegt, wer laut dieses Tests besonders viel Leistungspotenzial habe. In Wirklichkeit waren die Zuordnungen ausgelost worden. Das Ergebnis: Am Ende waren die vermeintlich besonders leistungsstarken Schüler*innen tatsächlich besser im Test, die anderen schlechter. Auch aufschlussreich sind hier Studien, in denen Frauen in Mathetests schlechter abschnitten als die Kontrollgruppe, wenn sie vorher an dieses Stereotyp erinnert wurden.

Zurück zum Schulranzen: Ich persönlich ärgere mich darüber, dass sich etwa ein Mädchen in diesem Alter, das fasziniert ist von Planeten und Raumfahrt explizit für einen als „Jungsranzen“ deklarierten, schwarz eingefärbten Ranzen entscheiden müsste. Und ein Junge, der Pferde liebt, einen mit rosa Herzchen verzierten Rucksack zu kaufen hätte. Beide wären vermutlich die einzigen mit ihrer Wahl und würden sich unwohl fühlen, aus dem „Girls and Boys Schema“ heraus zu fallen, das sie schon sehr gut kapieren. Sie wollen beide dazu gehören und nicht mit sechs Jahren der oder die Außenseiterin sein. Ich würde mir wünschen, dass der Handel und die Hersteller hier bewusst auf Gender Marketing verzichten. Also auch nicht der pinke Weltraumrucksack oder der schwarze Pferderucksack – sondern eine geschlechtsunabhängige kreative Umsetzung sämtlicher Farb- und Interessenspaletten. So wie sich das sicher auch die Mehrheit der Eltern für ihre Kinder wünscht: Individuelle statt stereotype Entfaltung von Stärken, Auswahl aus einer Vielzahl von spannenden beruflichen Möglichkeiten und viel Spaß beim Entdecken sämtlicher Wissensgebiete in der Schule!